English: Seagrass / Español: Pasto marino / Português: Erva-marinha / Français: Herbe marine / Italiano: Erba marina
Seegras bezeichnet eine Gruppe von blühenden Pflanzen, die sich an das Leben im Meer angepasst haben und in Küstengewässern weltweit verbreitet sind. Diese Pflanzen spielen eine zentrale Rolle in marinen Ökosystemen, indem sie Lebensraum für zahlreiche Arten bieten und wichtige ökologische Funktionen erfüllen. Obwohl sie oft mit Algen verwechselt werden, handelt es sich bei Seegras um echte Gefäßpflanzen, die Wurzeln, Stängel und Blätter ausbilden.
Allgemeine Beschreibung
Seegras gehört zur Familie der Seegrasgewächse (Posidoniaceae, Zosteraceae, Hydrocharitaceae und Cymodoceaceae) und umfasst etwa 60 verschiedene Arten. Im Gegensatz zu Algen, die keine echten Wurzeln oder Leitbündel besitzen, sind Seegräser komplexer aufgebaut und können Nährstoffe über ihre Wurzelsysteme aufnehmen. Sie wachsen in flachen, lichtdurchfluteten Meeresgebieten, meist in Tiefen von bis zu 50 Metern, wobei die meisten Arten in seichten Küstenbereichen bis zu 10 Metern Tiefe vorkommen. Die Pflanzen bilden ausgedehnte Unterwasserwiesen, die als Seegraswiesen bezeichnet werden und eine Fläche von schätzungsweise 300.000 bis 600.000 Quadratkilometern weltweit bedecken (Quelle: UNEP, 2020).
Seegraswiesen sind hochproduktive Ökosysteme, die eine Schlüsselrolle im globalen Kohlenstoffkreislauf spielen. Sie speichern Kohlenstoff in ihren Wurzeln und im Sediment, ein Prozess, der als „Blue Carbon" bezeichnet wird. Studien zeigen, dass Seegraswiesen bis zu 18 % des gesamten in Meeresökosystemen gespeicherten Kohlenstoffs binden, obwohl sie nur 0,1 % des Meeresbodens bedecken (Quelle: Fourqurean et al., 2012). Darüber hinaus stabilisieren sie Küstenlinien, indem sie Sedimente binden und die Erosion durch Wellen und Strömungen reduzieren. Ihre Blätter verlangsamen die Wasserbewegung, was die Ablagerung von Schwebstoffen fördert und die Wasserqualität verbessert.
Die Fortpflanzung von Seegras erfolgt sowohl sexuell als auch asexuell. Bei der sexuellen Vermehrung werden Blüten gebildet, die Pollen freisetzen, der durch Wasserströmungen zu anderen Pflanzen transportiert wird. Die daraus entstehenden Samen keimen und bilden neue Pflanzen. Asexuell vermehren sich Seegräser durch Rhizome, unterirdische Stängel, die horizontal wachsen und neue Triebe ausbilden. Diese vegetative Vermehrung ermöglicht es den Pflanzen, sich schnell auszubreiten und dichte Bestände zu bilden. Die Lebensdauer von Seegraswiesen kann Jahrzehnte bis Jahrhunderte betragen, wobei einige Arten wie Posidonia oceanica im Mittelmeer besonders langlebig sind und bis zu 100.000 Jahre alte Klone bilden können (Quelle: Arnaud-Haond et al., 2012).
Ökologische Bedeutung
Seegraswiesen zählen zu den artenreichsten Lebensräumen der Meere und bieten Lebensraum, Nahrung und Schutz für eine Vielzahl von Organismen. Sie dienen als Kinderstube für viele Fischarten, darunter wirtschaftlich bedeutende Arten wie Heringe, Seezungen und Garnelen. Die dichte Struktur der Wiesen schützt Jungfische vor Fressfeinden und bietet ihnen reichlich Nahrung in Form von kleinen Wirbellosen, die in den Blättern und im Sediment leben. Schätzungen zufolge leben bis zu 40.000 Fischarten und 50 Millionen kleine Wirbellose in Seegraswiesen (Quelle: Short et al., 2011).
Neben Fischen beherbergen Seegraswiesen auch zahlreiche Wirbellose wie Muscheln, Schnecken, Krebse und Seesterne. Einige Arten, wie die Dugongs und Seekühe, sind direkt auf Seegras als Nahrungsquelle angewiesen. Diese großen Meeressäuger weiden die Wiesen ab und tragen durch ihre Fraßaktivität zur Verbreitung der Pflanzen bei. Auch Meeresschildkröten, insbesondere die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas), ernähren sich überwiegend von Seegras. Die Pflanzen bieten zudem Schutz für bedrohte Arten wie die Seepferdchen, die sich mit ihren Greifschwänzen an den Blättern festhalten.
Ein weiterer wichtiger ökologischer Dienst von Seegraswiesen ist ihre Fähigkeit, Nährstoffe aus dem Wasser zu filtern. Sie nehmen Stickstoff und Phosphor auf, die durch menschliche Aktivitäten wie Landwirtschaft und Abwassereinleitungen ins Meer gelangen. Durch diese Filterfunktion tragen sie zur Verringerung von Algenblüten bei, die sonst zu Sauerstoffmangel und dem Absterben anderer Meereslebewesen führen können. Zudem produzieren Seegräser Sauerstoff durch Photosynthese und verbessern so die Wasserqualität in Küstengebieten.
Bedrohungen und Gefährdung
Trotz ihrer ökologischen Bedeutung sind Seegraswiesen weltweit stark gefährdet. Die größten Bedrohungen gehen von menschlichen Aktivitäten aus, insbesondere von der Zerstörung ihrer Lebensräume. Küstenentwicklung, wie der Bau von Häfen, Marinas und Tourismusinfrastrukturen, führt zur direkten Vernichtung von Seegraswiesen. Auch die Grundschleppnetzfischerei, bei der schwere Netze über den Meeresboden gezogen werden, zerstört die empfindlichen Pflanzen und das Sediment, in dem sie wachsen. Schätzungen zufolge gehen jährlich etwa 7 % der globalen Seegrasbestände verloren (Quelle: Waycott et al., 2009).
Ein weiteres großes Problem ist die Eutrophierung, die durch übermäßige Nährstoffeinträge aus Landwirtschaft und Abwässern verursacht wird. Die erhöhten Nährstoffkonzentrationen fördern das Wachstum von Algen, die das Licht blockieren und so die Photosynthese der Seegräser behindern. Zudem führt die Trübung des Wassers durch Schwebstoffe, die durch Erosion und menschliche Aktivitäten ins Meer gelangen, zu einer Verringerung der Lichtverfügbarkeit. Seegräser benötigen jedoch ausreichend Licht, um zu wachsen, und können bei Lichtmangel absterben.
Der Klimawandel stellt eine zusätzliche Bedrohung für Seegraswiesen dar. Steigende Wassertemperaturen können zu Hitzestress führen, der die Pflanzen schwächt und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten verringert. Zudem führt die Versauerung der Ozeane, die durch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre verursacht wird, zu Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des Wassers, die das Wachstum von Seegras beeinträchtigen können. Auch der Anstieg des Meeresspiegels kann Seegraswiesen gefährden, da sie in flachen Gewässern wachsen und bei zu schnellem Anstieg nicht in der Lage sind, sich in tiefere Bereiche auszubreiten.
Anwendungsbereiche
- Küstenschutz: Seegraswiesen stabilisieren Sedimente und reduzieren die Erosion durch Wellen und Strömungen. Sie wirken wie natürliche Wellenbrecher und schützen Küsten vor Sturmfluten und Überschwemmungen. In einigen Regionen werden sie gezielt zur Renaturierung von Küstengebieten eingesetzt.
- Kohlenstoffspeicherung: Aufgrund ihrer Fähigkeit, große Mengen an Kohlenstoff zu binden, werden Seegraswiesen als wichtige Akteure im Kampf gegen den Klimawandel betrachtet. Projekte zur Wiederherstellung von Seegraswiesen zielen darauf ab, ihre Kohlenstoffspeicherkapazität zu nutzen und so die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre zu reduzieren.
- Fischerei und Aquakultur: Seegraswiesen sind entscheidend für die Aufzucht von Fisch- und Krustentierbeständen. In einigen Ländern werden sie gezielt geschützt und bewirtschaftet, um die Fischerei nachhaltig zu gestalten. Zudem dienen sie als natürliche Filter für Aquakulturanlagen, indem sie Nährstoffe aus dem Wasser entfernen.
- Tourismus und Bildung: Seegraswiesen sind beliebte Ziele für Ökotourismus und Umweltbildung. Schnorchel- und Tauchausflüge in Seegraswiesen vermitteln Besuchern die Bedeutung dieser Ökosysteme und fördern das Bewusstsein für ihren Schutz. In einigen Regionen werden geführte Touren angeboten, die über die ökologische Rolle von Seegras informieren.
Bekannte Beispiele
- Posidonia oceanica (Neptungras): Diese Art ist im Mittelmeer verbreitet und bildet ausgedehnte, langlebige Wiesen. Sie gilt als eine der wichtigsten Seegrasarten des Mittelmeers und ist durch die EU-Habitatrichtlinie geschützt. Neptungraswiesen sind besonders artenreich und bieten Lebensraum für zahlreiche Fisch- und Wirbellosenarten.
- Zostera marina (Gewöhnliches Seegras): Diese Art kommt in gemäßigten und arktischen Gewässern vor, darunter in der Nord- und Ostsee. Sie ist eine der am weitesten verbreiteten Seegrasarten und spielt eine wichtige Rolle in den Ökosystemen der gemäßigten Breiten. Gewöhnliches Seegras ist anpassungsfähig und kann in verschiedenen Tiefen und Salzgehalten wachsen.
- Thalassia testudinum (Schildkrötengras): Diese Art ist in der Karibik und im Golf von Mexiko verbreitet und dient als Hauptnahrungsquelle für die Grüne Meeresschildkröte. Schildkrötengraswiesen sind besonders dicht und bieten Schutz für viele Fischarten, darunter auch wirtschaftlich bedeutende Arten wie den Roten Schnapper.
- Enhalus acoroides: Diese Art kommt in den tropischen Gewässern des Indopazifiks vor und bildet große, dichte Wiesen. Sie ist eine der wenigen Seegrasarten, die auch in brackigen Gewässern wie Flussmündungen wachsen kann. Enhalus acoroides spielt eine wichtige Rolle in den Ökosystemen der Mangroven und Korallenriffe.
Risiken und Herausforderungen
- Habitatverlust: Die direkte Zerstörung von Seegraswiesen durch Küstenentwicklung, Grundschleppnetzfischerei und Verschmutzung ist eine der größten Bedrohungen. Einmal verloren, können Seegraswiesen nur schwer wiederhergestellt werden, da ihre Regeneration Jahrzehnte dauern kann.
- Klimawandel: Steigende Wassertemperaturen, Versauerung der Ozeane und der Anstieg des Meeresspiegels gefährden die Existenz von Seegraswiesen. Einige Arten sind besonders empfindlich gegenüber Temperaturveränderungen und könnten in Zukunft aus bestimmten Regionen verschwinden.
- Eutrophierung: Übermäßige Nährstoffeinträge aus Landwirtschaft und Abwässern führen zu Algenblüten, die das Licht blockieren und Seegraswiesen ersticken. Die Bekämpfung der Eutrophierung erfordert eine Reduzierung der Nährstoffeinträge und eine verbesserte Abwasserbehandlung.
- Invasive Arten: Die Einschleppung nicht-einheimischer Arten kann zu Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen führen. Einige invasive Algenarten überwuchern Seegraswiesen und verdrängen die einheimischen Pflanzen. Die Kontrolle invasiver Arten ist eine große Herausforderung für den Schutz von Seegrasökosystemen.
- Mangelnde Wahrnehmung: Seegraswiesen sind oft weniger bekannt als andere marine Ökosysteme wie Korallenriffe oder Mangroven. Dies führt zu einer geringeren öffentlichen und politischen Unterstützung für ihren Schutz. Aufklärungskampagnen sind notwendig, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Seegras zu stärken.
Ähnliche Begriffe
- Algen: Algen sind photosynthetische Organismen, die im Wasser leben, aber keine echten Gefäßpflanzen sind. Im Gegensatz zu Seegras besitzen sie keine Wurzeln, Stängel oder Blätter und vermehren sich meist durch Sporen. Algen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle in marinen Ökosystemen, sind jedoch weniger komplex aufgebaut als Seegras.
- Mangroven: Mangroven sind salztolerante Bäume und Sträucher, die in tropischen und subtropischen Küstengebieten wachsen. Sie bilden dichte Wälder, die wie Seegraswiesen Lebensraum für viele Arten bieten und Küsten vor Erosion schützen. Mangroven und Seegraswiesen sind oft eng miteinander verbunden und bilden gemeinsam wichtige Ökosysteme.
- Korallenriffe: Korallenriffe sind marine Ökosysteme, die von Korallenpolypen gebildet werden. Sie sind bekannt für ihre hohe Artenvielfalt und bieten Lebensraum für zahlreiche Fisch- und Wirbellosenarten. Im Gegensatz zu Seegraswiesen, die aus Pflanzen bestehen, sind Korallenriffe tierische Strukturen, die jedoch ebenfalls von Photosynthese abhängen.
- Salzwiesen: Salzwiesen sind Küstenökosysteme, die von salztoleranten Pflanzen wie Gräsern und Kräutern besiedelt werden. Sie kommen in gemäßigten Klimazonen vor und spielen eine wichtige Rolle im Küstenschutz. Im Gegensatz zu Seegraswiesen, die unter Wasser wachsen, befinden sich Salzwiesen im Gezeitenbereich und sind regelmäßig dem Wechsel von Ebbe und Flut ausgesetzt.
Zusammenfassung
Seegras ist ein unverzichtbarer Bestandteil mariner Ökosysteme, der durch seine ökologischen Funktionen wie Kohlenstoffspeicherung, Küstenschutz und Bereitstellung von Lebensraum eine zentrale Rolle spielt. Die Pflanzen bilden ausgedehnte Unterwasserwiesen, die als Kinderstube für Fische, Nahrungsquelle für Meeressäuger und Filter für Nährstoffe dienen. Trotz ihrer Bedeutung sind Seegraswiesen weltweit durch menschliche Aktivitäten wie Küstenentwicklung, Verschmutzung und Klimawandel bedroht. Der Schutz und die Wiederherstellung dieser Ökosysteme sind entscheidend, um ihre ökologischen Dienstleistungen zu erhalten und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Durch gezielte Maßnahmen wie die Reduzierung von Nährstoffeinträgen, die Ausweisung von Schutzgebieten und die Förderung von Aufklärungskampagnen kann der Rückgang von Seegraswiesen verlangsamt und ihre Regeneration unterstützt werden.
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